Inselträume

 

Ein Kraftort fernab der Hektik 

Der Horizont, der Wind und der Duft des Meers: Katja Bohn-Schuz und ihre Familie lieben die Nordseeinsel Föhr. Die Corona-Krise war für die Steinfurtherin und ihren Mann dies Jahr ein weiterer Grund, gerade Föhr als Urlaubsziel zu wählen. Wie sie die Insel erlebte, erzählt sie im Samstags-Interview mit Petra Ihm-Fahle.  

Katja Bohn-Schulz (Foto: privat)

Katja, mit deiner Familie hast du wechselnde Urlaubsziele. Wohin reist ihr in den Sommerferien?

In diesem Jahr fuhren wir wieder einmal mit der gesamten Familie, einschließlich unseres zwar definitiv aus Schwalheim stammenden Golden Retrievers (in Wahrheit jedoch offenbar in seiner Seele angelegten Schwimm- und Wasserhundes) nach Föhr.

Genauer gesagt, nach Oevenum, in eines der beschaulichen und wunderschönen Inseldörfer. Mit seinen alten Reetdachhäusern und seinem von Radfahrern geprägten Straßenbild, wo prachtvolle riesige Hortensien in allen erdenklichen leuchtenden Farben die Vorgärten säumen und wunderschöne Rosenstöcke an den Fassaden der alten gepflegten Häuser entlangwachsen.

Idyllische Hausfassaden (Foto: Katja Bohn-Schulz)

Es ist wohl offenbar eine tiefe Sehnsucht, die mich mit dieser Insel, mit diesem Ort verbindet. Es sind wohl die Idylle und die Ruhe fernab jeglicher Hektik, und auch ist es wohl gerade das nicht garantierte schöne Sommerwetter! Wenn man seinen Urlaub auf Föhr verbringt, muss man ganz einfach flexibel sein! Man weiß nie, was einen auf Föhr erwartet. Föhr ist keine Schönwetterinsel, Föhr ist vielfältig und unberechenbar.

Wir haben schon erlebt, dass es 14 Tage lang ununterbrochen  geregnet hat und nach kurzer Verzweiflung und kollektiven Verstimmungen  anschließend trotzdem voller Freude erfahren dürfen, wie unglaublich gemütlich und ungeheuer entschleunigend es sein kann, am offenen Kaminfeuer  zu sitzen und den berühmten Föhrer Friesentee mit knisternden „Kluntjes“ zu trinken.

Schöne repräsentative Strandkorbfotos gibt es von mir leider nicht, tatsächlich verbringen wir unsere „Strandtage“ bei jedem Wetter am Wyker Hundestrand. Rechts des Fähranlegers, mit Picknickdecke und Picknickkorb, Wurfspielzeug und vielen Strandtüchern.

Unserem Wasserhund zuliebe, der jedes Jahr wieder aufs Neue die in weiter Ferne auf dem Wasser befindlichen Bojen „apportieren“ will und der jedesmal ein wenig traurig zu sein scheint, wenn die aus der Ferne betrachtet vermeintlichen „kleinen Bällchen“ bei näherer Betrachtung dann doch immer grösser werden und sich nicht apportieren lassen wollen.

Überhaupt sind ein viel schwimmendes Wasserkind und ein Wasserhund, die sich beide nicht scheuen, in der manchmal doch auch im Sommer recht kalten Nordsee zu schwimmen,  perfekte Voraussetzungen für einen Urlaub auf Föhr.

 

Auch für den Hund ist die Nordsee ein schönes Erlebnis. (Foto: Katja Bohn-Schulz)

Was magst du an der Toskana, was an Föhr?

Wenn man in der Toskana Urlaub macht, weiß man immer, was einen erwartet:

In erster Linie natürlich die wunderbar freundlichen und offenen Menschen, das stets sehr gute wunderbar frische Essen, das permanent schöne Wetter, die absolute Sonnengarantie.  

Auch nach inzwischen schon drei (!)  Italienischkursen bei der hiesigen Volkshochschule ist es mir zwar immer noch nicht gelungen, nach einem Besuch im örtlichen COOP Laden den Grill des Ferienhauses auch tatsächlich mit zartem Grillfleisch statt mit offenbar grobfaserigem Suppenrindfleisch zu bestücken, ich gebe die Hoffnung allerdings nicht auf und werde mir die Vokabel wohl noch auf den Unterarm tätowieren lassen müssen, um sie nicht wieder zu vergessen 😊

Wenn man in die Toskana fährt, erwartet einen pure Lebensfreude, das stundenlange Sitzen und Schauen auf wunderschönen idyllischen Marktplätzen kleiner Orte, das Genießen, immer mit vorzüglichem Espresso, dem besten Olivenöl der Welt, dem besten Eis der Welt und ganz generell erwartet mich dort auf jeden Fall das gefühlt beste Essen und der beste Wein der Welt.

Natürlich die vielen Kulturschätze in Hülle und Fülle, nicht nur Florenz und  Sienna, auch die vielen kleine Orte, die verwinkelten Gassen, das Kunsthandwerk, die kleinen Boutiquen mit wunderschöner Kleidung, zauberhafte Märkte in den Dörfern, wo man sich tatsächlich alles ganz frisch kaufen kann, was das kulinarische Herz begehrt.

Auch zum nächsten Outlet ist es nie besonders weit, in Italien gibt es ganz wunderbare Mode, die erst einige Zeit später hier bei uns zu finden sein wird.

Nun habe ich persönlich auch schon einmal knappe vier Stunden mit ansonsten vorwiegend  japanischen Touristen in der Schlange vor einem bekannten toskanischen  Outlet Center angestanden, bei praller Sonne, natürlich ohne Kopfbedeckung und ohne Wasserflasche, die ersehnte Handtasche zum halben Preis auf diese Weise erstanden  zu haben, machte auch den anschließenden Sonnenbrand und den Sonnenstich schnell wieder vergessen.

In die Toskana fuhr die Familie dieses Jahr nicht. (Foto: Katja Bohn-Schulz)

Auf Föhr dagegen wird nirgendwo Schlange gestanden und auch nicht großartig geshopped, man isst am liebsten den ganzen Tag unglaublich leckere frische Krabben- und Fischbrötchen, natürlich besucht man  zum wiederholten Male das Friesenmuseum in Wyk, erfährt, wie die stolzen Föhrer Kapitäne durch Walfang  zu ihren schönen Häusern gekommen sind und sieht die wunderbaren handbestickten Föhrer Trachten, handbemalten Kacheln und zahlreiche filigrane Handarbeiten.

Heimelige handbemalte Kacheln (Foto: Katja Bohn-Schulz)

Man fährt erneut mit einem Kutter zu den Robbenbänken, ist natürlich wieder vollkommen verzückt von den bezaubernden kleinen Heulern und wünscht sich, der Nationalpark Wattenmeer möge ewig Bestand haben und die Menschen mögen aufhören, auch dieses Naturparadies zu zerstören. Im Robbenzentrum Föhr besuchen wir zum dritten Mal Janine und André, die sich beide mit ganzem Herzen der Erstversorgung und Aufzucht von Robben in der Nordsee widmen, sehr interessante anschauliche Vorträge halten und uns das Wattenmeer noch einmal ein Stückchen  näher bringen.

Bei jedem Besuch auf Föhr gibt es etwas, was für meine Familie inzwischen zur Tradition geworden ist, aber doch (zum Glück, möchte man sagen) inzwischen nicht mehr so einfach zu realisieren ist. Der Besuch des Restaurants Alt Wyk bei der Familie Dittrich in Wyk. Lange vor der Urlaubszeit gilt es bereits, einen freien Abend zu finden, um einen Tisch reservieren zu können. In diesem Jahr zusätzlich mit der Buchung eines festen Zeitfensters, sehr guter Belüftung und nur wenigen Gästen in einem der ungemein  heimeligen und urgemütlichen Gasträume.

Es freut mich sehr, dass die unglaublich leckeren regionalen Gerichte, die schnörkellose Küche,  zu einem sehr guten Preis-Leistungsverhältnis so gut angenommen werden, Küche und Service sind absolut empfehlenswert, es ist sehr schön, dass auch in diesem Jahr wieder solch eine große Nachfrage nach freien Tischen herrscht.

Gute regionale Küche (Foto: Katja Bohn-Schulz)

Wieso habt ihr euch diesmal Föhr als Urlaubsziel ausgesucht?

Als im März Corona kam, waren wir vollkommen fassungslos!

Homeschooling, Homeoffice, keine Klientinnen in meiner psychologischen Beratungspraxis mehr, es schien vollkommen unfassbar, was da plötzlich über uns alle hineingebrochen war. Mit aller Härte und allen Widrigkeiten!

Um die Osterzeit herum verspürte ich eine tiefe Sehnsucht nach Weite und endlosem Meer, wieder einmal den Blick in die Ferne richten zu können, den Horizont verschwimmen zu sehen, die Kraft des Windes zu spüren.

Ich habe mir dann, wie ich es häufig tue, die verschiedenen Webcams von Föhr angeschaut, all jene Orte, die ich so häufig besucht hatte und die jetzt eine tiefe Sehnsucht hervorriefen, das tiefe Verlangen, endlich wieder auf  Föhr sein zu wollen.

Dann tauchte auf der offiziellen Homepage von Föhr das Video „Wir vermissen Euch“ auf, so viele mir bekannte Föhrer Betriebe und Institutionen hatten sich dort zusammengetan und jeweils einzelne wunderschöne und ganz herzergreifende Botschaften aufgenommen.

Die Schiffer der WDR-Fähren sagten beispielsweise, wie sehr sie die Touristen vermissen würden, Restaurantbesitzer, Geschäftsinhaber, Ferienhausvermieter, auch unser Fahrradverleiher…sie alle vermissten uns … Offenbar erging es ihnen genau so, wie es uns auch gerade erging!

Endlich wieder die geliebte Insel ansteuern (Foto: Katja Bohn-Schulz)

Wir kümmerten uns sofort darum, für die anstehenden Sommerferien im Juli noch eine Unterkunft zu bekommen, was uns auch glücklicherweise gelungen war.

Mit dem Flugzeug als einer der ersten Touristen in den Süden zu fliegen, war keine Option, zu groß war die Sorge, was passieren könnte. Wir könnten unwissentlich jemanden anstecken, jemand könnte in der Enge des Flugzeuges uns anstecken….

Auch war gerade erst sehr anschaulich und deutlich geworden, dass die Natur sich ihren Freiraum in vielen Bereichen unseres Lebens  zurückerobert hatte, es gab keine Kreuzfahrten und für einige Monate keine Flugreisen mehr, ein Umdenken hatte in vielen Teilen unseres Lebens stattgefunden, was mir persönlich sehr gut gefallen hat und ich auch unterstützen wollte und weiterhin werde.

In dem Wissen, dass wir auf Föhr, wie wir es in dem wunderbaren Video gesehen und gehört hatten, so sehr vermisst wurden und so sehr willkommen waren, war Föhr der Ort meiner persönlichen Sehnsucht in diesen Wochen!

Ein ganz persönlicher Kraftort, ein Ort der unendlichen Weite und endlich auch ein Ort, der die Begrenzungen unseres Zuhauses aufheben würde!

Egal, ob wieder einmal im Regen oder bei Sonnenschein am Hundestrand, „wenn wir erst nach Föhr kommen, wird alles wieder ein wenig leichter sein“ war ein geflügelter Satz unserer Familie von Ostern bis zu unserem Urlaubsantritt im Juli.

Ort der Weite (Foto: Katja Bohn-Schulz)

Wie habt ihr die Insel in diesem Sommer erlebt?

Vor Antritt unserer Reise hatten wir uns natürlich über die Gegebenheiten auf Föhr informiert, wir fanden es sehr gut, auch sehr beruhigend, mit welchen Hygienekonzepten vor Ort zu rechnen war.

Sogar auf der Fähre nach Föhr herrschte strenge Maskenpflicht, wenn allerdings der Wind so stark windet, kommt einem dies fast surreal vor, schon die Mitreisenden waren, so mein Eindruck, dankbar und achtsam, genossen die Freiheit an Deck, die Weite und den Blick in die Ferne sehr. Wir waren alle für einige Monate auf den Platz in unseren Wohnungen reduziert gewesen, uns einte ein freundlicher Blick, ein verständnisvolles Lächeln und Zunicken.

Wir hatten zuhause Fernsehbilder von überfüllten Stränden an Nord- und Ostsee gesehen, an unserem geliebten Hundestrand waren jedoch kaum andere Menschen zu sehen, in Geschäften und Hofläden wurde die Maskenpflicht streng eingehalten und es wurde auch diesmal wieder sehr schwierig, einen Tisch in unserem Lieblingsrestaurant zu bekommen.

Im Ferienhaus lagen allerdings neue und durchaus sinnvolle Vorschriften aus, was den Umgang mit Bettwäsche und Geschirr betraf. Bei unseren zahlreichen liebgewonnenen Fahrradtouren durch die wunderschönen Inseldörfer war deutlich erkennbar, dass weitaus weniger Menschen als in den anderen Jahren vor Ort waren. Auch die Auswahl an noch vorrätigen Fahrrädern war ungewohnt groß.

Typisches Reetdach (Foto: Katja Bohn-Schulz)

In Gesprächen mit uns bekannten Geschäftsinhabern, vielen Hofladenbesitzern, Ferienhausvermietern und Fahrradverleihern wurde uns öfter versichert, wie sehr man sich tatsächlich auf uns (natürlich gilt dies für die Touristen insgesamt) gefreut habe.

Die Ostersaison sei bereits ausgefallen, man habe überall mit schweren finanziellen Einbußen zu tun gehabt.

Mit ungeheuer großer Dankbarkeit und sehr viel Ehrfurcht habe ich jeden einzelnen Tag dieses Urlaubs genossen!

Auch habe ich diesen Urlaub wesentlich achtsamer erlebt, natürlich auch in Anbetracht der schlimmen und zutiefst anrührenden Bilder von Menschen an Beatmungsgeräten in Krankenhäusern habe ich eine bisher nie gekannte tiefe Demut empfunden. Gesund zu sein und mit der Familie in die Weite zu schauen, den Wind, die Sonne und den Regen zu spüren, den Hund an der Boje zu beobachten, all dies war in diesem Urlaub nicht mehr selbstverständlich, es war ein Geschenk, ein Geschenk was ich dankbar und glücklich entgegengenommen habe.

Eine Begegnung, die man nur am Meer haben kann (Foto: Katja Bohn-Schulz) 

Die Menschen auf Föhr leben größtenteils vom Tourismus. Wie ist dort die Stimmung?

Ich wünschte, ich könnte das weiter oben zitierte Video „Wir vermissen Euch“ hier zugänglich machen.

Ich bin nicht naiv, ich betrachte diese Entwicklung natürlich auch mit gemischten Gefühlen. Ein Gespür für die Situation bekommt man allerdings  am besten, wenn man vor Ort mit den Menschen redet, anstatt über sie. Das haben wir getan und vielfältige Eindrücke gewonnen.

Es ist auf Föhr nicht anders als auf Sylt oder Amrum, den beiden Schwesterinseln von Föhr. Der Wohnraum auf den Inseln ist mittlerweile so teuer geworden, dass einige Einheimische sich eine Wohnung vor Ort nicht mehr leisten können. Sie ziehen auf das Festland und pendeln täglich mit der Fähre.

Unser liebster kleiner „Tante Emma Laden“ in Oevenum war im Juli geschlossen, wir waren entsetzt und erfuhren auf Nachfrage, dass das Ausfallen der Ostersaison dem Geschäftsinhaber offenbar so zugesetzt hatte, dass das gesamte Haus jetzt von einem großen deutschlandweit bekanntem Immobilenmaklerbüro  zum Verkauf stünde. Sicherlich werden auch hier Ferienwohnungen errichtet werden.

Die Quadratmeterpreise für Neubauten auf Föhr betragen mittlerweile 8.000 bis 10.000 Euro.  

Unser Lieblingsrestaurant zum Beispiel bietet in einer Anzeige für einen dringend gesuchten Koch schon direkt folgenden Zusatz mit an.“ Ein Zimmer im Haus wird kostenlos gestellt!“

Die Touristen auf Föhr sind allerdings keine Massentouristen, es sind häufig Familien mit Kindern und, ich möchte auch behaupten, dass sie sich auch von den Sylt-Touristen in vielerlei Hinsicht stark unterscheiden.

So sehr, wie die Urlauber und Gäste der Insel Föhr ihre Lieblingsinsel in den letzten Monaten vermisst haben, so stark haben auch die Bewohner, die Menschen der Insel Föhr ihre Urlauber vermisst, dies mag nun mein abschließender Eindruck eines Urlaubs im Corona Sommer 2020 sein.





 




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